Über emotionale Erpressung, Glaubenssätze und den Mut zum Unbequem-Sein.

Als ich 14 Jahre alt war, drückte mir meine Mutter ein Buch aus den 60ern in die Hand. Es hieß: Man wird dich lieber haben. Anstandsbuch für junge Mädchen.

Vermutlich hatte sie dabei die besten Absichten. Ich dachte damals schon „Ernsthaft jetzt?“ – und gab es ihr direkt wieder zurück.

Bereits im Titel steckte schon so unfassbar viel emotionale Erpressung!

Dennoch dachte ich immer wieder mal an das Buch – und habe es mir nun – 31 Jahre später 😊 – tatsächlich bestellt und gelesen.

Natürlich beinhaltet es viele antiquierte Vorstellungen aus den 60ern: Zum Beispiel spricht Frau im Restaurant nicht direkt mit der Bedienung, sondern lässt ihre Bestellung über ihren Begleiter ausrichten – das wusste ich gar nicht…

Oder die Tochter aus gutem Hause soll unangemeldete Gäste ihrer Eltern unaufgefordert mit Getränken und frisch geputzten Aschenbechern versorgen und sich dann bitte unauffällig zurückziehen.

Aber ehrlich gesagt hatte ich es mir – bis auf einige Ausnahmen – noch viel schlimmer vorgestellt.

Im Großen und Ganzen geht es darin um das soziale Miteinander und die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Also auch einen Blick für andere zu haben. Eigentlich gar nicht so blöd.

Sag du mir: Bin ich ok genug?

Und zugleich stößt es mir doch arg auf: Warum galt das nur für die Mädchen? Was war denn – bitteschön – mit den Jungs und Männern?

Warum sollte „Mädchen“ andere wichtiger und richtiger nehmen als sich selbst? Und sich zugleich selbst zurücknehmen (während es adrett aussah)?

Und VOR ALLEM: Anderen die Macht geben zu entscheiden, ob sie ok genug ist, um geliebt zu werden?

Unreflektierte Glaubenssätze und alte Rollenbilder verunsichern schnell – noch heute

Gesellschaftliche Vorstellungen und Glaubenssätze wirken sich auf unseren Alltag und unser Handeln aus – oft unbewusst.

Insbesondere die, von Kindesbeinen an verinnerlichten Antreiber „Mach es allen recht“ und „Sei perfekt“ bekommen bei vielen Frauen ihre große Bühne. Sie führen schnell zu einer großen Anpassungsleistung und gehen häufig auf Kosten des eigenen Selbstwerts.

Sowohl im Alltag als auch im Coaching begegnet mir dieses Frauenbild immer wieder – häufig gekoppelt an eben die beiden genannten Antreiber.

Beispiele aus Coaching-Situationen:

Viele sympathische und kompetente Frauen, die Mitten im Leben stehen, suchen nach Bewertung und Bestätigung von außen. Damit geben sie anderen Menschen sehr viel Macht über sich (und machen sich leicht manipulierbar):

  • Bin ich denn gut genug? Andere können das doch auch – und sogar viel besser.“
  • Ist es ok so zu sein, so wie ich bin? Darf ich mich anderen wirklich so zumuten?“
  • Darf ich das wirklich so machen? Vielleicht stört es jemanden?“

Manch eine junge, super ausgebildete Frau scheut sich davor, mit ihrem Partner über ein zukünftiges Familienleben zu sprechen. Egal, wie nachher das Familienleben aussehen soll – es braucht zuvor eine gemeinsame Auseinandersetzung als Paar damit. Denn: Familie funktioniert nur gemeinsam!

Beispiele aus dem Alltag:

Es hat bislang noch niemand zu meinem Mann gesagt:  „Lass sie doch machen.“ sondern „Toll, dass du ihr das ermöglichst und dich um die Familie kümmerst“, wenn ich mal ein paar Tage weg war. Andersherum scheint es selbstverständlich(er). Komisch, oder?

Und wo ist der Artikel über den frisch ernannten Geschäftsführer, in dem berichtet wird, wie er Job und Familie gut unter einen Hut bekommt…?

Wann hat dein Sohn zuletzt ein Geburtstagsbild für seine Tante gemalt?

Für viele Männer ist es vermutlich noch heute recht bequem in diesem System. Wie viele können weiterhin recht ungestört ihr Ding machen? Anstatt zuerst die Anderen im Blick zu haben.

Viele Jungs werden vermutlich auch heute immer noch weniger als Mädchen dazu erzogen, auch an andere zu denken.

Denn oft sind es unbewusste Vorstellungen, mit denen wir Rollenbilder weitergeben: Wann sollte z.B. dein Sohn zuletzt ein schönes Bild zum Geburtstag der Tante zu malen? Und deine Tochter?

Ich bin glücklich über jede*n, der/die hier aufschreit und das Gegenteil bestätigt: Wir brauchen dich!

Raus aus dem Automatismus. Raus aus der vorgegebenen Selbstverständlichkeit.

Muss es denn wirklich ein „Entweder – Oder“ sein?

Macht es nicht viel mehr Sinn, auf der persönlichen Klaviatur zwischen „Ich“ und „Die Anderen“ alle Bereiche bespielen zu können? Und zwar in einem gesunden Wechsel, situationsbezogen und ohne einen dauerhaften „Ausschlag“ auf nur eine Seite!

Und vor allem: Ganz unabhängig vom Chromosomensatz!

Klaviatur zwischen Innen und Außen, zwischen "Ich" und den "Anderen"

Es täte uns allen gut – für ein gesundes, ausgeglichenes und kraftvolles Zusammenleben und -arbeiten. Für mehr Wertschätzung und Zusammenhalt.

Haltungen und gesellschaftliche Systeme verändern sich nicht von heute auf morgen, sondern nur langsam Schritt für Schritt. Und zugleich sind wir schon längst losgelaufen – zum Glück.

Es braucht Pionier*innen und unterstützende äußere Rahmenbedingungen.

Da kann ich doch jetzt eh nichts ändern. Oder vielleicht doch…?

Mein Appell an alle Menschen, die manchmal zu sehr für andere sorgen und sich dabei selbst vergessen: Sei selbst-bewusst und irritiere das System 😊!

Probiere verschiedene Variationen im Alltag aus und beginne, deine eigenen Bedürfnisse noch mehr zu äußern:

  • Mute dich noch mehr zu und erlaube dir, unbequem zu sein.
    Vor allem, wenn dir etwas sehr wichtig ist!
  • Zeige – auch mal –  weniger Verständnis für andere.
    Und dafür noch mehr Verständnis für dich selbst.
  • Lass etwas los, was du (vielleicht zu) lange festgehalten hast.
    Beginne mit einer Kleinigkeit. Übertrage anderen dafür die Verantwortung.
  • Sag auch mal „nein“ zu anderen (und damit „ja“ zu dir).
    Vor allem dann, wenn andere mehr einfordern, als du gerade geben kannst und willst.

Das wird dir immer leichter gelingen, je besser du dich kennst, selbst spürst und selbst-bewusst akzeptierst.

Irritation stößt nicht unbedingt sofort auf Begeisterung…

Vermutlich werden nicht gleich alle Beteiligten „hurra“ schreien, denn du bringst damit eine alte Ordnung durcheinander…

Veränderung und Entwicklung braucht Zeit. Bleib dran – und lass dir dabei bloß von niemandem einreden, dass DU falsch bist!

Denn: In Irritationen steckt viel Energie und Potenzial, von dem (langfristig) alle Beteiligten etwas haben können! Es geht nicht um ein Gegeneinander, sondern um ein Miteinander. Für uns und für unsere Kinder – mit gegenseitiger Wertschätzung und vielfältigen, guten Vorbildern 😊.

Du möchtest dich gern noch kraftvoller und selbst-bewusster aufstellen?

Du möchtest dich im Alltag gern noch wichtiger nehmen? Dich gut aufstellen und auch in schwierigen Situationen der/die Chef*in in deinem innerem System bleiben?

Ich begleite dich im Karrierecoaching und Führungscoaching gern ein Stück dabei.

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Herzliche Grüße & alles Gute
Susanne