Dies ist ein Interview mit Alexandra Polunin. Alexandra ist Beraterin für achtsames Marketing ohne Social Media und hilft Selbstständigen dabei, schreibend online sichtbar zu werden – mit Website, Blog und Newsletter.


Liebe Alex, was ist Erfolg für dich?

Erfolg ist für mich, wenn das Leben nicht nur gut aussieht, sondern sich auch gut anfühlt – sowohl im Privaten als auch im Beruflichen.

Privat brauche ich zum Beispiel überhaupt keine Statussymbole – kein großes Auto, keine riesige Villa –, sondern möchte mich in den Räumen, die ich bewohne, wohlfühlen und mich mit den Menschen, die ich mag, verbunden fühlen.

Auch beruflich möchte ich im Einklang sein mit dem, was ich tue.

Und für mich ist es DANN ein Erfolg, wenn ich die Produkte anbiete, die ich anbieten will, wenn ich mit Menschen zusammenarbeite, die ich mag, und wenn ich mein Marketing so gestalten kann, wie ich es will.

Und wenn ich mir dann zum Beispiel wünsche, dass ich nicht mehr auf Social Media bin, und es dann so umsetze, ist das für mich ein Erfolg, das einfach so tun zu können.

Wenn man es auf einen Wert herunterbrechen würde, könnte man sagen, dass Integrität ein wichtiger Bestandteil meiner Erfolgsdefinition ist.

Ich fühle mich dann erfolgreich, wenn es eine maximale Überschneidung gibt zwischen dem, was mir wichtig ist und was ich brauche, und dem, was ich tue.

Und das trifft auf alle Bereiche zu, beruflich und privat.

War das schon immer so für dich, wie du es jetzt beschreibst?

Ja, doch ich konnte es früher nicht so richtig artikulieren. Den Begriff der Integrität kannte ich zum Beispiel als Kind oder Jugendliche gar nicht. Aber ich denke schon, dass es früher für mich auch schon so war.

Als ich in meinen Zwanzigern eine Ausbildung in der Gewaltfreien Kommunikation gemacht habe, bin ich dort das erste Mal mit dem Begriff „Integrität“ in Berührung gekommen, und das war ein Aha-Erlebnis für mich. Das war das erste Mal, dass ich zu dem, wie ich mich immer gefühlt habe, auf einmal einen Begriff, ein Konzept hatte, das ich zuordnen konnte.

Und ich dachte mir: „Ah, DAS ist das, wie’s dir immer ging. Ja, deswegen ist es dir immer so schwer gefallen, das so und so zu machen – weil das einfach nicht dir gepasst hat.

Als ich mich selbstständig gemacht habe, bin ich allerdings von dieser Definition wieder weggekommen.

Denn auf Social Media ist es ziemlich leicht, immer nach links und rechts zu gucken und zu schauen, was die anderen so machen.

Da habe ich weniger auf mich und meine Werte und Vorstellungen geschaut, sondern mich mehr daran orientiert, wie Erfolg für ANDERE aussieht. Also: Man braucht ein großes Team, viele Launches und einen siebenstelligen Jahresumsatz oder so etwas.

In den ersten Jahren meiner Selbstständigkeit fand ich das auch total attraktiv. Und dann habe ich nach einiger Zeit doch gemerkt, dass es nicht so ist, wie ich mir das vorgestellt habe.

Und, dass es mich auf Dauer auch krank und auch nicht glücklich macht, so zu leben.

Zum Glück habe ich dann noch die Kurve gekriegt vor drei Jahren.

Seit wann bist du selbstständig?

2015 habe ich die ersten Schritte in meine Selbstständigkeit gemacht und – parallel zu meiner Doktorarbeit – getextet. So richtig selbstständig gemacht, wo ich dann auch die Uni quasi offiziell beendet habe, das war 2017.

Angenommen, du könntest mit deinem Wissen und deiner Erfahrung von heute nochmal 7-8 Jahre in die Vergangenheit reisen. Was würdest du dort vielleicht diesmal noch anders machen?

(überlegt …) Ich glaube, ich würde es mir erlauben, kreativer zu sein. Ich hab damals ziemlich viel nach links und rechts geguckt. Aber nicht so darauf, was ich eigentlich kann, was ich will und wie ich kreativ sein kann.

Ich habe früher auch nie anderen Menschen meine eigenen Texte gezeigt. Ich hatte immer Angst vor ihrer Reaktion und habe mich unsicher gefühlt. Das wäre schön gewesen, wenn ich da vielleicht früher die Kurve gekriegt hätte.

Aber gleichzeitig glaube ich, dass es schon okay ist, wie es gelaufen ist. Ich bereue nichts oder denke, dass das so ein großer Fehler in meinem Leben gewesen wäre.

Vielleicht wäre ich jetzt auch gar nicht der Mensch, der ich heute bin.

Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich schon mit 16 all meine kreativen Ideen ausgelebt hätte. Vielleicht wäre ich jetzt eine drogenabhängige Künstlerin oder so (lacht). Insofern ist es schon okay.

Welches sind für dich die größten Herausforderungen, bei deiner heutigen Form von Erfolg zu bleiben?

Das ist eindeutig, mich nicht so ablenken zu lassen von dem, was andere machen. Es gibt diesen Begriff des „Shiny Objects“.

Also es gibt immer irgendetwas, von dem alle immer sagen: Das muss man jetzt unbedingt machen. Irgendeine Plattform, Strategie oder irgendein Trend, der für ganz viel Wirbel sorgt.

Das Beste, was ich da tun kann, ist, mir Scheuklappen aufzusetzen. Ich glaube, dass wir das müssen, weil wir einfach so von Input, Tipps und Strategien überflutet werden.

Ein gutes Beispiel ist bei mir der Podcast. Gerade hat gefühlt jeder einen Podcast. Schon seit 2018 hab ich immer wieder Phasen, in denen ich denke: „Du brauchst einen Podcast.“ Und dann bin ich für ein, zwei Tage Feuer und Flamme und erstelle mir ein Konzept.

Und dann merke ich irgendwann: „Das ist totaler Blödsinn! Du hast für dich verstanden: Du willst eigentlich schreibend online sichtbar werden und nicht redend. Und deswegen passt das eigentlich gar nicht zu dir. Nur weil es jetzt für Person X und Y ganz toll funktioniert, heißt es nicht, dass es dein Weg ist.“

Ich darf mich also immer aktiv daran erinnern, dass das gar nicht das ist, was ich will und was ich brauche. Es würde mich im Alltag sowieso nur stressen, mich um diese ganzen technischen Geschichten zu kümmern oder etwas einzusprechen.

Oder, wenn meine Kinder zu Hause sind, ihnen dann sagen zu müssen: „Psssst, seid leise, ich muss jetzt eine Podcast-Folge aufnehmen.“

Ich sehe das richtig vor mir, dass es nicht mit meinem Leben kompatibel ist. Und trotzdem habe ich immer wieder diese Podcast-Gedanken.

Deshalb: Einfach weniger konsumieren, was andere machen. Dann wird es leichter.

Viele Menschen arbeiten ja in einer Firma oder anderen großen „Ställen“. Da ist das mit den Scheuklappen vielleicht manchmal schwieriger. Hast du für sie auch eine Empfehlung?

Ich glaube, das fängt schon im Privaten an.

Wir können uns zum Beispiel fragen: Muss ich in jedem Gruppenchat sein oder ist mir das vielleicht auch zu viel? Vielleicht will ich ja gar nicht mitkriegen, worüber sich andere Eltern vom Fußballverein oder der Schule immer aufregen.

Oder muss ich den Posteingang immer geöffnet lassen? Oder kann ich nicht vielleicht auch mal Zeitfenster definieren, wo ich Mails abrufe?

Und vielleicht kann ich auch einfach mal meine Tür schließen und nicht unbedingt offen lassen, wenn das möglich ist.

Klar ist es schwieriger, wenn man in einem größeren Unternehmen ist.

Aber egal, welchen Beruf wir haben, ist das eine aktive Sache.

Niemand lässt dich von sich aus in Ruhe arbeiten, sondern wir müssen uns aktiv darum bemühen, Ruhe zu finden.

Und das ist natürlich je nach Aufgabe und je nach Job anders herausfordernd. Aber ich glaube, dass jede*r von uns so ein kleines aktives „Fitzelchen“ gestalten kann.

Auch wenn es nur ist zu sagen: „Nee, ich bin jetzt nicht in diesem Gruppenchat des Fußballvereins drin und hab dafür ein bisschen mehr Ruhe.“.

Was hilft dir am allermeisten bei dir und deiner Definition von Erfolg zu bleiben?

Genau dieses „kritische Ignorieren“. Das ist ein Begriff, der ich total toll finde. Es ist ein bisschen wie kritisches Denken.

Egal, was wir hören oder lesen: Wir gucken, kann das überhaupt wahr sein? Und reflektieren eben Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt.

Und ich glaube, dass wir in der heutigen Zeit, wo wir so mit Informationen überflutet werden, das eben auch in Bezug auf Wissen machen müssen.

Wissen ist jetzt nichts Besonderes mehr so wie in den 90ern.

Ich erinnere mich zum Beispiel noch daran, als ich angefangen habe, Gitarre zu lernen. Da habe ich damals festgestellt: Im Internet kannst du zu jedem Song, den du da eingibst, die Gitarrennoten finden. Und da dachte ich: WOW, das gibt’s ja gar nicht!

Heutzutage ist es natürlich das komplette Gegenteil. Wir werden überall bombardiert mit Wissen.

Das heißt, wir brauchen Strategien, wie wir auswählen und wie wir Wissen ignorieren.

Und bei mir war das der Fall, dass ich Social Media gelöscht habe – komplett – und es auch privat gar nicht mehr nutze.

Eine andere Möglichkeit ist, Input zu begrenzen. Ich habe zum Beispiel wieder damit angefangen, eine Wochenzeitung zu lesen.

Vorher war das eher so, dass ich Nachrichten in kleinen Häppchen konsumiert habe, auch mal über einen Liveticker, über den Tag verteilt.

Bis ich gemerkt habe, dass es für mich furchtbar ist, mich ständig mit diesen negativen Schlagzeilen zu umgeben. Und sich jetzt einmal die Woche Zeit zu nehmen und eine Zeitung ganz gemütlich, entschleunigend entspannt zu lesen, ist einfach ein ganz anderes Gefühl.

Ich hab sogar den Eindruck, dass ich besser informiert bin, aber weniger Zeit dafür brauche.

Genauso ist es auch bei Newslettern oder Empfehlungen: Wir müssen einfach anfangen, kritisch zu ignorieren, was da auf uns einprasselt. Sonst sind wir nur noch komplett reizüberflutet.

Dieser Blick lässt sich auch übertragen auf das Thema Erfolg: Bei mir bleiben.

Wie darf dein Erfolg in 10 Jahren aussehen?

Ich denke genauso.😊

Also auch wenn ich mich vielleicht verändere – und ich meine, klar, wir verändern uns ständig – hoffe ich doch, dass mein Leben dann immer noch nicht nur gut aussieht, sondern sich auch gut anfühlt.

Also, dass ich morgens aufwache und gerne mache, was am Tag ansteht. Dass ich abends ins Bett gehe, ohne zu grübeln, nachts gut durchschlafen kann. Und tagsüber Zeit finde für Menschen, die ich mag.

Wenn das so ist, dann habe ich den Eindruck, dass ich ein erfolgreiches Leben habe.